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Neue Nationalgalerie I Berlin

Süddeutsche Zeitung, 29. Juni 2017 – Schauplatz Berlin


 

Hinter diesem Kunsttempel waren einmal die begehrtesten Parkplätze zu finden, die einzigen kostenlosen in der Gegend. Inzwischen wird die Neue Nationalgalerie saniert –
ein Besuch auf der Baustelle.

(Renate Meinhof)
 
Für den Berliner wird sich, wenn er von der Sigismundstraße aus einen Blick auf die Baustelle wirft, vor allem eine Frage stellen: „Kann ick hier denn ürjendwann ma wieder parken?“ – Nee, kanner nich, das muss man deutlich sagen. Denn die begehrtesten, weil einzigen kostenlosen Parkplätze am Berliner Kulturforum wird es nicht mehr geben, wenn in drei Jahren die Neue Nationalgalerie nach ihrer Sanierung wieder eröffnet werden wird. Bevor die Arbeiten an Ludwig Mies van der Rohes großartigem Bau begannen, rangelten an dessen Nordseite an den Abenden die Konzertbesucher der Philharmonie um einen Platz fürs Auto in der düsteren „namenlosen Straße“, wie die Arbeiter den Ort nennen, an dem jetzt ihre Baucontainer stehen.
 
Wenn Arne Maibohm, der Projektleiter, einen über die Baustelle führt, fällt einem allerdings nicht ein, nach Parkplätzen zu fragen, denn jetzt, nach der kompletten Entkernung, ja, Bloßstellung des Gebäudes, wird noch sichtbarer, was für ein Kunstwerk es ist, und so sieht er, Maibohm, es auch, als eine Ikone, etwas Anvertrautes, dessen stählerner Eleganz mit Sorgfalt zu begegnen ist. Und das tun sie hier, natürlich. Der Brite David Chipperfield hat die Grundsanierung geplant, die klugen „Nutzungsverschiebungen“, wie sie im Planerjargon genannt werden, denn das Haus, wie Mies van der Rohe es als Ort der Kunst des 20. Jahrhunderts geschaffen hatte und wie es 1968 eröffnet wurde, war elitär, war jedenfalls nicht gedacht für all die Millionen Pilger, die der Kunst, aber auch des Hauses selber wegen kommen. Dass die Form der Funktion zu folgen habe, ist ein Kernsatz der Moderne, nur an der Funktionalität der oberen, gläsernen Halle zum Beispiel, konnte man immer schon Zweifel haben. Wie zeigt man Kunst in all dem Licht?
Achtzig Hutablagen hatte Mies van der Rohe geplant
 
Jetzt ist sie ausgeschält, diese Tempelhalle, liegt frei, ohne Granit und Holz, und ist damit plötzlich ein Raum, den man gedanklich auch völlig anders füllen kann. Das untere Geschoss wirkt mit seiner Betonwabendecke und im Baulärm nun wie eine Fabrikhalle. Wie viel Zeit vergangen ist, seitdem Mies seinen einzigen Nachkriegsbau in Deutschland verwirklicht hat, sieht man auch an verschwundenen Worten wie „Hutablage“. 80 Hutablagen hatte er geplant, nun wird es Garderoben geben, für 1000 Besucher. Depotraum war zwar da, nur reichte er längst nicht mehr. Ein neuer entsteht jetzt – und das ist die einzige Erweiterung des Gebäudes – unter der Erde, 50 Meter lang, zur Potsdamer Straße hin. Besucher werden davon nichts sehen. Sie werden auch niemals aus der Nähe sehen, warum genau dieses Dach und seine acht Stahlpfeiler so leicht wirken.
 
Mies bezog sich auf Schinkels Klassizismus, und die optischen „Tricks“ der Antike sind hier oben, unterhalb des Daches, sehr gut zu erkennen: die an Kapitelle erinnernden Stahlhalterungen, die leichte Entasis der Pfeiler. Allerdings gab es ein Problem, denn auch die Schüttung des Daches wurde abgetragen und das Dach damit so leicht, dass die Wände der Halle wie ein Kartenhaus auseinander hätten fallen können. Nun sitzen zwischen Dach und Glas grüne Stahlspangen und halten alles zusammen. Mies wusste, dass alles hält. Als er zum Ende der Arbeiten an seiner Neuen Nationalgalerie auf der Baustelle war, so erzählt man, soll sich Folgendes zugetragen haben: Mies ist dabei, als das Dach aufgesetzt wird. Einer ruft ihm zu: „Zur Seite besser, Herr van der Rohe, falls was hinabstürzt.“ Herr van der Rohe habe sich nicht gerührt und nur gesagt: „Das wäre doch der schönste Tod.“