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Staatsbibliothek I Haus 1

So sieht die modernisierte Staatsbibliothek aus

Berliner Zeitung 03. 11. 2019 I Nikolaus Bernau


Was für ein Auftritt. Das werden wohl viele sagen, die in den nächsten Jahren die alte Staatsbibliothek Unter den Linden – bürokratisch korrekt: „Haus 1“ genannt – betreten. 1914 wurde sie zum ersten Mal eröffnet, gebaut nach den Plänen des kaiserlichen Hofarchitekten Ernst von Ihne und des Bauingenieurs Anton Adam. Sie galt damals als die größte und technisch am besten ausgestattete Bibliothek der Welt.

Am kommenden Montag wird der Bau nach 15 Jahren Grundinstandsetzung durch die Bundesbaubehörden von diesen und dem Architekten HG Merz an die Nutzer, die Staatsbibliothek der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, übergeben werden. . Dann wird die alte Staatsbibliothek erst einmal geschlossen, um in einem halben Jahr nach dem Umzug unter anderem der kostbaren Handschriftensammlung wieder für das Publikum offen zu stehen.

Der Bau war im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt worden, verfiel zu DDR-Zeiten immer weiter, wurde in den 80er-Jahren dann mit extrem dysfunktionalen Magazintürmen versehen, die an der Stelle des legendären Hauptlesesaals entstanden.

1990 war die „Deutsche Staatsbibliothek“ baulich abgewirtschaftet. Alleine die Sanierung der Fundamente in den 90er-Jahren kostete mehr als 45 Millionen Euro. Die nun abgeschlossene Sanierung des Gebäudes darüber schlägt mit weiteren etwa 470 Millionen Euro zu Buche.

Finanziell blieb die Modernisierung der Staatsbibliothek durchaus im Rahmen

Sämtliche Dächer, Fassaden und Innenräume wurden saniert und, so weit irgend möglich, ästhetisch auf den Stand der Kaiserzeit zurückgeführt. Neue Lesesaalinterieurs nach dem Entwurf von HG Merz kamen hinzu, die schlechthin nur als gigantisch zu bezeichnenden Magazine und vor allem Leitungen, Rohre und andere technische Infrastruktur saniert.

Geplant worden war ursprünglich mit etwa 370 Millionen Euro. Die Kostensteigerung liegt nach Angaben der Bundesbauverwaltung BBR an der langen Bauzeit. Außerdem wurde das Haus während der Bauarbeiten weitgehend offen gehalten, immer wieder wurden überraschend große Schäden entdeckt, schließlich stieg der Baukostenindex um etwa 34 Prozent.

Tatsächlich scheint das teure Projekt alte Staatsbibliothek durchaus im Rahmen geblieben zu sein, im Vergleich etwa zur Sanierung der Bibliotheque Nationale in Paris, deren erster Bauabschnitt 2017 übergeben wurde und bereits 185 Millionen Euro kostete, oder im Vergleich zum geplanten Berliner Museum der Moderne auf dem Kulturforum. Obwohl dieses Kunstmuseum räumlich und technisch weit einfacher und in der Raumkubatur viel kleiner ist als die alte Staatsbibliothek, wird dieser Neubau schon jetzt auf skandalöse 450 Millionen taxiert. Auch deswegen ist er so umstritten.

Die alte Staatsbibliothek ist selbst in den Riesenbauten der Kaiserzeit ein Ausnahmemonument, eine der in jeder Hinsicht größten Bibliotheken der Welt. 107 Meter breit und 170 Meter lang ist der Bau, sieben Innenhöfe umfasst er, 36 Meter hoch erhebt sich der gläserne Kubus des neuen Hauptlesesaals. Hinter den monumentalen Fassaden verbergen sich 107.000 Quadratmeter Bruttogrundfläche, von denen 52.000 direkt der Bibliothek dienen. 50 Kilometer lang sind alleine die legendären, fest in den Bau montierten Lipmann-Regale.

Zu den Linden hin lädt nun wieder die offene Vorhalle ein, auf die der breit gelagerte monumental-kalte Vorhof mit den netten Weinranken an den Fassaden folgt. Hier blieben auch die einzigen Zeugen der DDR-Geschichte dieses Baus stehen, ein Reliefblock und das etwas steife Denkmal „Lesender Arbeiter“ von Werner Stötzer; es ist eine von sehr vielen Männerdarstellungen in der alten Staatsbibliothek, Frauenbildnisse wurden beim ersten Rundgang nicht gesichtet. Vom Vorhof aus öffnet das prachtvolle Portal mit den schweren Türen den Weg zur breiten Paradetreppe.

Alte Preußische Staatsbibliothek soll wiedererstehen

Ihr gedrängter Eindruck verwischt beim Emporsteigen zunehmend, weil Ihnes große Säulen und Gesimse ihn aufheben und HG Merz das im Krieg zerstörte Gewölbe in abstrakter Form nachbauen ließ. Sein zu Ihnes Monumentalität passendes, eher kräftiges Rautengerüst zeigt sich dabei unverkennbar als Schwester jenes filigranen Gewölbes, das nach HG Merz’ Entwurf im rokokohaft zarten Großen Saal der Staatsoper Unter den Linden eingebaut wurde.

Die Treppe führt in einen weiteren Vorsaal, der jetzt wieder mit einer flachen Kuppel überwölbt wurde. Leider stehen quer durch diesen hohen, luftigen Raum halbhohe Glaswände. Angeblich, wurde beim Rundgang kolportiert, sollen sie Diebe davon abhalten, mit ihrem Diebesgut einfach hinauszulaufen. Das erscheint mindestens skurril angesichts all der anderen Sicherungseinrichtungen. Diese Glaswände sind ein ästhetischer Anschlag auf die kraftvollen Raumformen von Ihne und Merz, und mit ihrem inzwischen schon wieder aus der Mode geratenen geätzten Schattenmustern, Pardon, auch eine Attacke auf den guten Geschmack. Sie sollten schnellstens demontiert werden.

Abgeschlossen wird die grandiose Hauptachse vom bereits 2012 übergebenen neuen Hauptlesesaal, ebenfalls von HG Merz entworfen. Er zeigt bereits jetzt, wie schlecht seine knallige Farbwahl – orangener Teppich und Tischbelag, hell gepolsterte Stühle – der Zeit stand hält, sie wirkt heute geradezu altmodisch. Noch ärgerlicher sind die deutlichen Abnutzungsspuren an Regalen, Tischen und Stühlen in diesem erst sieben Jahre alten Raum, der kaum 260 Arbeitstische bietet und wahrlich keinen Massenverkehr bewältigen muss. Immerhin: Der ausgeblichene Teppich soll jetzt ausgewechselt werden. Sparen kann auch teuer werden.

Kurz: Wir stehen vor einer regelrechten Wiedergeburt dieses riesigen Gebäudes. Aber warum, fragt man sich schnell, ist diese Sanierung traditionell geraten? Heutige wissenschaftliche Bibliotheken sind weniger der Arbeitsort von individuellen Genies als vielmehr Arbeitstreffpunkt – aber hier konnten gerade noch einige mit dem modischen Ätzglaswänden umgebene Gruppenarbeitsräume in einen der historischen Säle eingestellt werden.

Es gibt sogar noch einen regelrechten Zeitungslesesaal – im Zeitalter der Digitalmedien wenigstens eine exklusive Idee. Diese Sanierung ist Folge einer Konzeption, die in den 90er-Jahren gegen den heftigen Widerstand vieler vor allem jüngerer Mitarbeiter durchgesetzt wurde. Ihre Grundidee: Die alte Preußische Staatsbibliothek der Zeit vor 1933 soll wiedererstehen, und zwar nicht nur als Erinnerung, sondern physisch. Um das zu erreichen, sollte ein Zeitschnitt die Sammlungen teilen: Alles, was vor 1940 erschienen ist, sollte in der alten Staatsbibliothek, alle spätere Literatur in der neuen Staatsbibliothek am Kulturforum unterkommen, die 1979 nach den Plänen von Hans Scharoun und Heinz Wisniewski eröffnet wurde.

Staatsbibliothek war das Haupt der DDR-Bibliothekslandschaft

Zwar wurde inzwischen der Zeitschnitt innerhalb der Staatsbibliothek auf 1900 verlegt, sodass wenigstens die Forscher zur Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht mehr ununterbrochen zwischen zwei Häusern wechseln oder die Literatur aufwendig vom einen in das andere Haus bestellen müssen. Dennoch ist eine solche Teilung nach Zeitschnitt international die Ausnahme, auch in den Bibliotheken, die ihre Platznot durch einen Neubau gelöst haben. Die Pariser Bibliotheque Nationale etwa oder die Washingtoner Library of Congress haben sich entschieden, ihre Altbauten mit Sonder- und Spezialsammlungen zu nutzen – was auch in Berlin vorgeschlagen worden war.

Doch in Berlin stand einer solchen funktionalen Trennung nach 1990 die Sehnsucht nach einer besseren Vergangenheit, jenseits von Nazi-Zeit und DDR entgegen. Dazu kam das Selbstverständnis vieler ostdeutscher Staatsbibliotheken, in einer faktischen Nationalbibliothek zu arbeiten, mit dem Recht, von jeder Publikation in der DDR ein Exemplar beziehen zu können. Die Staatsbibliothek war das unangefochtene Haupt der DDR-Bibliothekslandschaft.

Dass ihr Gebäude sich auch fast ein halbes Jahrhundert nach dem Krieg noch in einem beklagenswerten Zustand befand, war kein Argument in einem Staat, der etwa die grandiose Universitätsbibliothek in Leipzig vollständig als Ruine hatte liegen lassen und auch im osteuropäischen Vergleich bemerkenswert wenige Bibliotheksbauten erstellte. In West-Berlin dagegen hatte nicht zuletzt der grandiose Bau der neuen Staatsbibliothek von Hans Scharoun eine eigene Identität herausgebildet: Hier wurde gerade die antihierarchische, die aufklärerische Tradition Preußens betont, sein Charakter als moderner, bürgerlicher Reformstaat und als wichtigste Stütze der demokratischen Weimarer Republik.

Diese zwei Preußen-Begeisterungen aus ganz unterschiedlichen Richtungen führten dazu, dass sich für die alte Staatsbibliothek ein eher konservatives architektonisches Konzept durchsetzte – das nun, im Zeitalter von Digitalisierung, neuen Medien, neuen Forschungsmethoden bemerkenswert rückwärtsgewandt erscheint.

Das bauliche Opfer der Preußen-Renaissance wurden auch alle Zeugen der doch sehr langen DDR-Geschichte. HG Merz ließ auch, im Einvernehmen mit den diversen Staatsbibliotheksleitungen, der Leitung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und dem Kulturstaatsministerium, die beiden einzigen künstlerisch bedeutenden Säle der DDR-Zeit aus den späten 60er-Jahren zerstören und durch eigene Interieurs ersetzen, den Musik- und den Gesellschaftswissenschaftlichen Saal.

Auch die Berliner Denkmalpflege, die doch sonst predigt, dass die diversen historischen Schichten eines Gebäudes auch nach einer Sanierung noch ablesbar sein sollten, stand in den 90ern eben unter dem Preußen-Bann.